Stück für Stück ins Paradies

Von: Sebastian Hollstein

25.09.2023

Eigentlich wollte Jörn Ziegler nur einen kleinen Schuppen auf seiner alten Streuobstwiese am Rande des Nationalparks Eifel errichten. Doch dann entdeckte er im Internet eine alte Scheune und wurde zum Hausversetzer.

Puzzeln hat die Deutschen durch die Pandemie gebracht. Viele Menschen beschäftigten sich während der Zeit zuhause damit, zerstückelte Bilder zusammenzusetzen, und lenkten sich so vom Corona-Alltag ab. Auch Jörn Ziegler hat während dieser Zeit ein Puzzle in Angriff genommen, allerdings musste er es zuvor in kiloschwere Einzelteile zerlegen. Denn der Kölner hat im Frühjahr 2021 eine 150 Jahre alte Fachwerkscheune Stein für Stein auseinandergenommen, um sie als kleines Refugium auf einer kurz zuvor gekauften Streuobstwiese aufzubauen. Er schätzt die Ursprünglichkeit der Landschaft in unmittelbarer Nähe zum Nationalpark Eifel – Rotmilane, Mäusebussarde und Falken ziehen hier ihre Kreise.

„Ich bin in einem kleinen Dorf nahe des Hambacher Forst groß geworden und habe schon immer eine Sehnsucht nach Natur, Wald und Wildnis“, erklärt der 44-Jährige. Sowohl beruflich als Lehrer und Natur- und Wildnispädagoge in der Wuppertaler „Station Natur und Umwelt“ als auch in seiner Freizeit als ehrenamtlicher Artenschützer lebt er diese Verbundenheit. Doch zum absoluten Glück fehlte ihm noch die passende Unterkunft. Wichtigste Bedingung: Sie sollte aus natürlichen Materialien bestehen und sich nahtlos in die Umgebung einfügen. Und was ist nachhaltiger, als die Verwendung ökologischer Baustoffe? Genau: ihre Wiederverwendung.

Scheune zu verkaufen

Doch wie kommt man auf die Idee, ein ganzes Haus zu verpflanzen? „Ich wollte eigentlich mit meinem Vater einen Schuppen bauen und suchte dafür Fachwerkbalken. Dabei stieß ich im Internet auf ein Inserat“, berichtet Ziegler. In einem Dorf auf halber Strecke zwischen Domstadt und Streuobstwiese stand eine kleine, alte Scheune zum Verkauf, etwas mehr als sechs Meter hoch, rund 30 Quadratmeter Grundfläche. Sie sollte einem Neubau weichen. „Das Alter, die Handwerkskunst, das hervorragende Material und auch das Bedauern der Besitzer, die das kleine Haus eigentlich nicht abreißen wollten, haben mich schließlich auf die Idee gebracht, den Bau einfach zu versetzen“, sagt Jörn Ziegler. Als Zimmermänner ihm bestätigten, dass sich das Fachwerk in einem guten Zustand befand, wurde aus der Idee ein konkreter Plan.

Der Kölner kaufte die Scheune zu einem günstigen Preis und baute sie mit Unterstützung von Familie und Freunden Stück für Stück ab. Die Feldbrandsteine, die das Gefache füllten, löste das Team einzeln heraus und lagerte sie in Containern zwischen. Ein Zimmermann fotografierte das freistehende Fachwerkskelett und nummerierte die Teile, bevor es ebenfalls auseinandergenommen wurde. Zwar kosteten die Arbeiten im Hochsommer jede Menge Schweiß und den Bauherrn zwei Fingernägel, aber sie hielten neue Erfahrungen bereit. „Eigentlich bin ich handwerklich nicht sehr begabt, aber durch das Projekt hatte ich keine andere Wahl, als in die Materie einzutauchen, zu lernen und mich selbst auszuprobieren“, erzählt der Hausversetzer mit Begeisterung, die auch auf sein Umfeld abfärbte. „Mein Vater hat immer gesagt, ich sei ein Träumer, aber als ich ihm von meinen Plänen erzählte, war er sofort Feuer und Flamme.“

Nachhaltige Baustoffe und nachhaltige Finanzierung

Leidenschaft war auch während des Wiederaufbaus gefragt. Ziegler entschied sich aufgrund der Hanglage des neuen Standorts, das kleine Haus zu unterkellern und die gewonnene Fläche als Obstlager und Werkstatt zu nutzen. Auf dem Keller aufliegend stabilisiert ein schmaler Ringanker aus Beton das Fachwerk, das Stück für Stück wieder zusammengesetzt wurde und nun ein neues Dach trägt. Die alten Feldbrandsteine und Lehmmörtel füllen das Gefache vollständig aus. Während man im Innenraum die alte, originale Bauweise noch gut nachvollziehen kann, verdeckt eine Lärchenverschalung außen das Mauerwerk. In Verbindung mit einer Schicht aus Holzfaserwolle isoliert sie das Haus, das mit einem kleinen Ofen beheizt wird, perfekt und ökologisch.

Überhaupt investierte der Bauherr viel Zeit in die nachhaltige Gestaltung des Gebäudes. Er recherchierte akribisch, um die richtigen Naturbaustoffe zu finden und Kunststoff völlig zu vermeiden. „Ich suchte nach alten Fenstern und Türen, die ich verbauen kann, und mir war wichtig, nur Holz aus lokalen Forsten zu verwenden“, sagt er. Um die Galerie im Innenraum zu erreichen, hat er beispielsweise zwei alten Treppen aus der Eifel und aus dem Schwarzwald installiert. Ein alter Walnussstamm, den er auf einer Baustelle gefunden hat, bildet als Esstisch den Mittelpunkt des Innenraums.

Und auch in puncto Geld setzt Ziegler auf Nachhaltigkeit. Das Projekt finanziert er mit einem Kredit der EthikBank. „Die EthikBank ist bereits seit Jahren meine Hausbank, weil ich meine Finanzen sozial und ökologisch organisieren will, die Prinzipien der Bank teile und ihre Transparenz schätze“, sagt er. „Deshalb war sie auch für die Finanzierung mein erster Ansprechpartner. Die Konditionen haben gepasst und ich bin bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf echtes Interesse an dem ungewöhnlichen Vorhaben gestoßen.“ 

Auch wenn sich der Bau der kleinen Übernachtungsmöglichkeit anders gestaltet hat – und teurer geworden ist – als ursprünglich geplant, bereut der Naturschützer keine Minute und keinen Euro, die bzw. den er investiert hat. In diesem Jahr kann er die erste Saison direkt vor Ort erleben und die Früchte der alten Bäume etwa zu Apfelessig und Pflaumenmus verarbeiten. Jörn Ziegler freut sich darauf, mit seiner Partnerin Lena völlig in das kleine gemeinsame Paradies einzutauchen und sich darum zu kümmern, dass die Wiese ein wertvoller Lebensraum für Tiere und Pflanzen bleibt. So hat er bereits einige Bäume alter Obstsorten sowie für den Standort potenziell natürliche Vegetation gepflanzt und eine Hecke angelegt. Die Wiese senst er zweimal im Jahr und achtet darauf, Inseln für Insekten stehenzulassen. Begeistert dokumentiert er die vielen Arten, die auf seinem wilden Grundstück leben. „Und da das Haus jetzt steht, habe ich auch einfach mal Zeit, um die Vögel zu beobachten oder einfach nur in den Sternenhimmel zu schauen.“

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